Usability von Bestandssytemen verbessern

Lesedauer 3 Minuten

Häufig arbeiten wir in der Softwareentwicklung an Bestandssystemen. Das bedeutet, dass wir nicht auf der Grünen Wiese mit der Entwicklung unserer neuen Lösung beginnen, sondern bereits einiges vorhanden ist. Nur in den seltensten Fällen möchten Kunden dann, dass die Oberfläche komplett umgekrempelt und neu strukturiert wird. Wie können wir in solchen Situationen dennoch die Usability von Bestandssystemen verbessern?

Die Herausforderung

Wir stellen uns also grob folgendes Szenario vor:

  • Der Fachbereich hat wenigstens ein grobes Fachkonzept entwickelt.
  • Wenigstens ein MVP (Minimal Viable Product) liegt bereits vor.
  • Die wichtigsten Entscheidungen bzgl. der Software-Architektur sind gefällt (Programmiersprache, Datenbank, etc.).
  • Die Oberfläche ist allerdings sehr funktionell und wenig auf Usability fokussiert.

Nun gilt es in einem ersten Schritt den Fachbereich davon zu überzeugen, dass die Oberfläche des MVP nicht sehr benutzerfreundlich ist. Meistens sind Fachbereiche für konstruktive Vorschläge sehr offen. Die große Frage ist allerdings:

Wie können konstruktive Verbesserungsvorschläge in ein bestehendes System integriert werden?

Möglichkeit 1: Vorstellung von Usability-Problemen

Oftmals fallen in Bestandssystemen einige Usability-Probleme sofort auf, wenn man sich neu in ein Projekt einarbeitet. Es ist in diesem Zusammenhang sinnvoll, Screenshots zu machen und noch einige Notizen dazu zu machen. Dabei empfiehlt es sich, genau zu beschreiben, was genau das Usability-Problem ist (später fallen die Probleme u.U. gar nicht mehr auf; Stichwort: Betriebsblindheit) und welche Heuristik verwendet oder welche Gestaltgesetze nicht beachtet wurden, o.ä.

Wenn einige Beispiele gesammelt sind, dann können sie dem Kunden in geeigneter Form vorgestellt und Verbesserungsvorschläge unterbreitet werden.

PRO

  • Der Aufwand zur Erhebung der Usability-Probleme ist sehr niedrig.
  • Im Laufe des Projekts lernt man den Kunden besser kennen und kann einschätzen, wann der richtige Zeitpunkt zur Präsentation der Usability-Probleme gekommen ist.
  • Verbesserungsvorschläge können iterativ erarbeitet werden.

KONTRA

  • Der Prozess zur Verbesserung der Usability ist unstrukturiert und führt u.U. zu keinem Ergebnis.
  • Während der Sammlung von Beispielen ist dem Kunden ggf. nicht bewusst, dass Usability-Probleme bestehen.

Möglichkeit 2: Neue Features

Externe Unterstützung wird in der Regel angefordert, wenn neue Features entwickelt werden sollen, allerdings nicht ausreichend interne Kapazitäten vorhanden sind. Hier können die mittlerweile sehr weit verbreiteten agile Entwicklungsmethoden bei der Vorstellung neuer Bedienkonzepte unterstützen. Hintergrund ist, dass komplexe Features meist über mehrere Iterationen/Sprints/… entwickelt werden. Während der Entwicklung dieser komplexen Anforderungen können an diesen neuen Features neue Interaktionskonzepte demonstriert werden.

PRO

  • Demonstration eines neuen Interaktionskonzepts “am lebenden Objekt”.
  • Durch den Bruch mit der bestehenden Oberfläche werden die Unterschiede in den Interaktionskonzepten deutlich.
  • Dadurch können dann die Stärken und Schwächen der Oberflächenkonzepte gut miteinander verglichen werden.

KONTRA

  • Durch das neue Design entsteht ein Bruch mit der bestehenden Oberfläche. Die Konsistenz ist also nicht gewährleistet.
  • Der Aufwand, der bei einer kompletten Umstellung auf das neue Konzept entsteht, wird vom Fachbereich wahrscheinlich nicht wahrgenommen.
  • Das neue Konzept wird nicht als Diskussionsgrundlage, sondern als fertiges Konzept betrachtet.
  • Der Aufwand zur Umstellung der gesamten Oberfläche auf das neue Konzept kann u.U. nicht gut abgeschätzt werden.

Möglichkeit 3: Alternative GUI

Wenn im Rahmen eines Sprints etwas Zeit übrig ist, so kann ein eigener Design-Vorschlag entwickelt werden, der dann auf der Testumgebung vorgestellt wird. Dieses Vorgehen muss auf jeden Fall mit dem Kunden abgesprochen werden. Geschieht keine Absprache, besteht die Gefahr, dass der Kunde die entstandenen Aufwände nicht zu bezahlen bereit ist.

PRO

  • Es ist klar ersichtlich, dass der Design-Vorschlag nicht mit der bestehenden Oberfläche zusammenhängt.
  • Außerdem ist klar, dass der neue Vorschlag als Diskussionsgrundlage dienen soll.
  • Da der alternative Vorschlag von Grund auf neu entwickelt wurde, können die Aufwände für eine Umstellung der gesamten Oberfläche genauer geschätzt werden.

KONTRA

  • Hoher Aufwand, um den eigenen Vorschlag von Grund auf zu entwickeln.
  • Die Zeit am Ende eines Sprints ist wahrscheinlich zu knapp zur Entwicklung des Vorschlags.
  • Ggf. wird der Vorschlag gut aufgenommen, dann aber nicht weiterverfolgt. So besteht die Gefahr, dass die Verbesserung der Usability “im Sande verläuft”.

Möglichkeit 4: Usability-Studie

Bei aufgeschlossenen Kunden gibt es manchmal die Möglichkeit, direkt eine Usability-Studie durchzuführen. Hierzu ist allerdings nötig, dass dem Kunden bewusst ist, wie wichtig Usability ist. Außerdem muss der Kunde gewillt sein, das dafür nötige Budget aufzubringen. Hierfür ist eine stichhaltige und strukturierte Argumentation notwendig.

PRO

  • Fundierte Ergebnisse, ggf. sogar mit Verbesserungsvorschlägen, als Ergebnis der Studie.
  • Der Kunde ist sicher zur Verbesserung der Usability bereit.

KONTRA

  • Die Hürde zur Verbesserung der Usability ist durch die verhältnismäßig hohen Kosten hoch.
  • Vorbereitung, Durchführung und Nachbereitung der Usability-Studie sind zeitaufwändig. So muss die Studie evtl. in einem eigenen Projekt durchgeführt werden.

Fazit

Es gibt viele mögliche Ansatzpunkte zur Verbesserung der Usability in Bestandssystemen. Ausschlaggebend ist in jedem Falle die Bereitschaft des Kunden, Zeit und Geld in die Verbesserung zu investieren. Die Sammlung und Präsentation von Usability-Problemen ist in jedem Fall sinnvoll; so kann beim Kunden die Awareness geschaffen werden, sich mit dem Thema Usability zu beschäftigen.

Das wichtigste ist die konstruktive, pragmatische und ehrliche Zusammenarbeit mit dem Kunden. Nur so kann die Weiterentwicklung des Bestandssystems als gemeinsames Problem wahrgenommen und entsprechend partnerschaftlich angegangen werden.

Wenn ihr weitere Ideen zur Verbesserung der Usability von Bestandssystemen habt, schreibt sie gerne in die Kommentare.


Kommentare

2 Antworten zu „Usability von Bestandssytemen verbessern“

  1. Hallo Tobias,
    der Artikel gefällt mir gut. Man merkt du hast die einzelnen Möglichkeiten schon in Projekten erlebt 🙂
    Viele Grüße aus Rosenheim,
    Alfred

    1. Hallo Alfred,
      Vielen Dank für dein Feedback. Ja, das hast du richtig zwischen den Zeilen herausgelesen. 🙂
      Viele Grüße
      Tobias

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